Ein Essay über Arschlochtouristen

 
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Der folgende Beitrag beschreibt kein erlebtes Abenteuer oder ein Reiseabschnitt unseres Sabbaticals. Die folgende Abhandlung liegt mir persönlich schon seit längerer Zeit auf dem Herzen oder sollte ich wohl eher Magen sagen. Weil mit Herzen verbinden wir ja Gutes oder zumindest Sentimentales. Und unsere Mägen bringen wir meistens mit Unbehagen und Unwohlsein in Verbindung. Zumindest ergeht es mir so.

Heute Vormittag, wir waren an einem beliebten Touristen-Ziel, war es dann wieder soweit. Arschlochtouristen wo man hinschaut. Und das war wohl nun der berühmte Tropfen. Und darum, die Gedanken sind noch frisch und die Gefühle noch etwas über dem Entspannungs-Level, bringe ich dies nun in Blog-Beitrags-Form.

Arschloch-Touristen kennen wir alle. Wahrscheinlich sind wir alle selbst auch ein bisschen ein Arschloch-Tourist. Einhergehen tut dies meiner Meinung nach vor allem mit dem Massentourismus. In Zeiten in welchen Flugtickets günstiger nicht sein können und Instagram scheint dieser Trend noch stärker zu werden und jedermann muss jeden Winkel dieses Planeten besuchen und in einem Insta-Foto festhalten. Und versteht mich jetzt nicht falsch; Diesen Umstand finde ich nicht überhaupt schlimm. Also jeden Winkel des Planeten zu erkunden und den Moment auf ein Filmstreifen zu brennen oder zumindest in einer RAW-Datei abzuspeichern. Schließlich haben wir die Möglichkeit dazu, ein großer Teil von uns zumindest, und darum sollte dem auch nichts im Wege stehen. Entdecken gehört ja zum Menschen dazu. Das wurde schließlich seit Anbeginn der Menschheit gemacht. Nur halt langsamer und in kürzeren Distanzen. Und dann sollte man auch die Vorteile für einzelne Regionen sehen. Durch Instagram und den restlichen Social-Media-Kanälen können ganze Länder gehyped werden. Dieser Hype führt dann wiederum zu mehr Tourismus und in diesen Ländern oder Regionen zu mehr Einnahmen. Ein Parade-Beispiel dafür ist meines Erachtens Island. Vor zirka 10 Jahren hat sich kein Mensch auf diese Insel verirrt. Gut, vielleicht ein paar eingefleischte Kenner und solche, welche unbedingt einmal Nordlichter sehen wollten. Heutzutage ist Island mittlerweile fast ein Muss. Und ja, auch Nina und ich haben Island auf der Karte. Auch wir wollen in naher Zukunft mal dahin.

Das Problem dabei ist das Wie. Man hat die Möglichkeiten alles (oder zumindest vieles) zu sehen und kommt gleich in eine Hektik, weil man ja nichts verpassen möchte. Hinfahren, Foto schießen, zur nächsten Attraktion fahren. Foto schießen, zur nächsten Attraktion fahren, Foto schießen. Repeat. Und wenn man die Leute dann fragt, was sie da gesehen haben, müssen sie zuerst ihr eigenes Foto anschauen um eine Antwort geben zu können. Durch den Drang, alles zu sehen und alles mit einer Kamera festzuhalten, vergisst man sehr schnell, dass man auch «selbst» noch schauen könnte. Oder eigentlich müsste. Zugegeben, Nina und mir ist das auch schon passiert. Dann mussten wir «Stopp» rufen und haben beide Kameras im Auto gelassen. Um einfach mal die Landschaft oder die Touristenattraktion ohne einen Kamera-Sucher vor dem Auge zu sehen. Und zu genießen.

Arschloch-Touristen können das nicht. Sie kennen den Stopp-Schalter nicht. Und sie kümmern sich wenig um ihre direkten Mittouristen. «Ich bin hier und ich stehe hier» scheint vielfach die Devise zu sein. Was um sie herum geschieht scheinen sie auch nicht mitzukriegen. Ob man zum hundertsten Mal die Pose vor dem gleichen Stein, wohlbemerkt voll im Fotosujet von allen anderen Touristen, machen muss, scheint sich nur ihnen zu ergründen. Wieso man unbedingt hinter die Absperrung oder den Begrenzungszaun gehen und sich da präsentieren muss, offenbar auch. Selbst wenn da ein Schild mit «Why risk your life for a photo» steht. Und es dahinter rund 100 Meter senkrecht in die Tiefe geht. Böse Zungen hoffen bei diesem Anblick sogar auf ein Abstürzen. Oder zumindest auf ein Ausrutschen. Aber wahrscheinlich wäre der Lerneffekt bei einem Ausrutschen nur der, dass es ja nochmals gereicht hat und man es das nächste Mal wieder versuchen sollte.

Viele von diesen genannten Touristen scheinen schlicht und einfach auch den Reiz für die eigentliche Attraktion verloren zu haben. Oder sie werden mit der Masse, vom Tour-Car ausgehend, einfach dahingeschleust, ohne, dass sie das wirklich möchten. Oder gar Lust dazu haben.

Neulich bei den Moeraki Boulders, einem wohlbemerkt sehr eindrücklichen Naturphänomen, haben wir das so erleben müssen. Die Boulders, einfach ausgedrückt riesige Steinmurmeln welche an einem Strand liegen, sind relativ einfach vom großen Parkplatz zu erreichen. Aus dem Touristenbus raus, ein paar Treppenstufen runter und schon steht man auf dem Strand mit diesen Murmeln. Gut, man muss dann noch ein paar Meter gehen. Also 50 ungefähr. Und dann steht man vor ihnen, mehr oder weniger ordentlich aufgereiht zwischen einem Abhang des Strandes und des Meeres. Bei Ebbe kriegt man nicht mal nasse Füsse.

Sitzt ein männlicher Tourist mit seinem rund 4 Jahre alten Sohnemann direkt zwischen diesen Boulders und baut eine Sandburg. Die Konzentration auf der Burg und auf den Sohn. Praktisch so, dass man aus jedem Foto-Blickwinkel, diese Burg mit den männlichen Geschöpfen unweigerlich im Bild hat. Natürlich kann man jetzt sagen, dem Jungen war langweilig, er würde noch nicht verstehen was er an diesem Ort eigentlich soll und hey, schließlich ist man am Strand wo Sandburgen-Bau ja zum Daily Business gehört. Man muss ihn beschäftigen, ansonsten quengelt er den Rest der Busfahrt nur noch rum. Vollstes Verständnis habe ich dafür. Und soll er mit dem Sand spielen und glücklich sein. Und dass sein Vater sich in dieser Situation um ihn kümmert und sich mit ihm beschäftigt ist ebenfalls löblich. Aber man hätte dies auch an einem anderen Ort, auch an diesem Strand, tun können. Man hätte es 50 Meter neben diesen Steinmurmeln machen können. Dann hätte man nicht mal weit gehen müssen um den Sohnemann zu beschäftigen. Oder man hätte, Achtung jetzt kommt’s, dem Jungen auf dem Weg vom Touristenbus bis zu den Boulders erklären können was er gerade sehen wird. Wie geil die Natur doch sei, so eine Gesteinsformation zu erschaffen und einfach am Strand zur Schau zu stellen. Natürlich hätte dies kein Geologie-Vortrag sein müssen, den hätte der Junge wohl nicht begriffen und ihm wäre langweilig gewesen. Und er hätte Sandburgen bauen wollen. Vielleicht hätte der Junge so noch was gelernt. Oder er hätte am Abend vor der Schlafenszeit noch eine Zeichnung machen können von dem was er gesehen hat. Das geht auch bei 4jährigen Kindern. Mir hat es damals, vor langer Zeit, auf jeden Fall nicht geschadet. Und gequengelt hatte ich auch eher selten. Gut, das müsste man jetzt meine Eltern fragen. Und ja, ich durfte auch ab und zu Sandburgen bauen.

Aber man ist halt ein Arschloch-Tourist und kümmert sich nicht um solche Dinge. Auch merkt man nicht, wenn man andere stört. Gut, man mag das jetzt vielleicht etwas kleinlich halten. «Ohh, hat Tobi sein perfektes Foto nicht schießen können» hör ich rufen. Mag sein. Es wäre sowieso kein perfektes Foto geworden. Es stürmte und regnete an diesem Tag doch relativ heftig und wir waren zur falschen Tageszeit da. Aber es geht ums Prinzip. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, ich hätte den einen Boulder nicht mit einer Sandburg dahinter fotografieren können. Und natürlich hätte ich mir auch andere Boulders für mein Foto aussuchen können (was ich dann auch getan hatte). Aber es geht ums Prinzip. Arschloch-Touristen sind in ihrer Blase. Egal wo sie sind. Sie können keine anderen Handlungen antizipieren. Sie sind einfach und machen ihr Ding, so ganz nach dem Motto «mir doch egal ob andere ein gutes Foto haben, Hauptsache mein Sohnemann nörgelt mir nachher die Ohren nicht voll.

Auch scheint das, fast manisch scheinende, Besteigen von Attraktionen ein Muss zu sein. Möglichst vorne an der Kante muss man stehen. Möglichst dahin, wo es entweder verdammt gefährlich oder schlicht und einfach verboten ist. Das scheint ein Kick zu geben. Das scheint dann mehr Follower auf Instagram zu geben. Dies scheint übrigens auch andere Menschen zu stören. Es gibt dazu sogar einen eigenen Instagram-Feed, wo solche Arschloch-Touristen «porträtiert» werden. Oder man muss einfach, um wohl ein besseres Foto zu erlangen, auf sämtliche Naturphänomene hochkraxeln. So auch gesehen beim Devil’s Punchbowl-Wasserfall und den Moeraki Boulders und vielen anderen Natur-Touristen-Attraktionen. Diese Touristen müssen auf diese Steinmurmeln steigen. Ansonsten fehlt ihnen nachher wohl etwas in ihrer Erinnerung. Hochklettern, sich aufrichten, sich ausrichten, die Arme ausstrecken und warten bis das Foto gemacht wurde. Es muss auf dem Stein sein. Wieso scheint mir unergründlich. Das Interessante an vielen Naturwundern ist es doch, dass man die Dimensionen festhalten kann. Sehen kann wie gewaltig gewisse Dinge sind. Und diesen Effekt erzielt man halt nicht, wenn man sich darauf ablichten lässt, sondern wenn man sich davor oder daneben platziert. Und, das Ganze hat noch einen weiteren Vorteil (nebst dem meiner Meinung nach besseren Bild): man macht die fragile Natur nicht kaputt. Touristen welche in fünf oder zehn Jahren die Attraktion sehen wollen können dies dann auch noch tun. Wohl werden es uns viele nicht danken, aber sie könnten dennoch daran teilhaben. Aber eben. «Ich bin hier und ich stehe hier.». Und was danach kommt ist mir scheißegal. Nur so, scheint das Verhalten zu begründen.

Wir sollten wieder vernünftiger Reisen. Vernünftiger den Planeten resp. dessen Schätze betrachten. Einmal weniger auf den Auslöser drücken, einmal weniger die Regel missachten und einmal mehr genießen. Und sich einmal mehr daran erinnern, dass man selbst nicht alleine hier ist. Vielleicht einmal weniger cool sein und sich nur darüber freuen, dass man das Glück hat, an einem bestimmten Ort zu sein.

 
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